Kein Tag vergeht, ohne dass man nicht irgendwo hören oder lesen muss, das Internet sei voll gotteslästerlicher Namen und habe sieben Köpfe und zehn Hörner, Minimum. Wie soll der Rechtgläubige sich da noch zurechtfinden? Schon lehnen sich selbst die Suchmaschinen gegen den Menschen auf und geben freche Widerrede, wie Hanno Kühnert vom Merkur erleben musste: "Eine dieser Maschinen antwortete auf die Frage nach dem Wort ,Internet' mit 1.881 Antworten. Bei der hundertzwanzigsten Auskunft mochte ich nicht mehr herumklicken. Etwas Aufschlussreiches war in diesen Nachweisen nicht zu finden." Ja wo soll denn das hinführen? Ganz klar: "Wenn das Internet sich nicht ändert, wird es zerfallen", prophezeit Herr Kühnert. Wehe, wehe, du große Stadt! Das war 1997, und da Google inzwischen bereits 106 Millionen beunruhigender "Internet"-Antworten zutage fördert, ist vermutlich demnächst der Ofen aus.
Das dürfte dem greisen Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem Freude bereiten, der sich mit solch gewaltiger Üppigkeit genauso wenig anfreunden mag: "Es gibt keine Intelligenz im Netz. Was kann man da schon herausfinden? Das ist ein Ozean an Informationen, und wir stehen mit einem Löffel davor." Tunkt man ihn ein, den Löffel, dann steigen neue vieltausendköpfige Tiere aus dem Meer: "Wenn man Informationen mit einer Suchmaschine sammelt, stößt man sofort auf das Grundproblem des Internet-Zeitalters: Tausende von hits als Antwort auf meine einfache Frage - so genau wollt ich es gar nicht wissen! Weniger wäre mehr", mault Telekom-Philosoph Norbert Bolz im Spiegel. Die beste Suchmaschine ist halt einfach "nach wie vor das Gehirn", stößt Hans Magnus Enzensberger in die gleiche Posaune. Je nun, es sind wohl auch falsche Propheten unter dem Volk, insbesondere beim Spiegel, wo man das Internet immer schon recht stückweise erkannt hat.
Derlei apokalyptische Rede erinnert an die diversen Theorien über den bevorstehenden Untergang des Universums. Es liegt ja auf der Hand, dass es nicht lange gut gehen wird, wenn das Weltall durchaus darauf besteht, sich auf so eine ungesunde Größe aufzublasen - und außerdem hat doch weiß Gott niemand Verwendung für so viel Stauraum. Anwachsende Entropie beunruhigt, das kann man mit einem Blick unters Bett jederzeit feststellen. Und so ist auch die Feindschaft zwischen Apokalyptikern und integrierten Schaltkreisen nicht erst mit Google in die Welt gekommen. Denn siehe, das Lamm stand auf dem Berg Zion und mit ihm standen 1.900 Treffer für "Kulturpessimismus".
Habe ich mich vielleicht über die unpraktisch große Anzahl der Bände in diesen verwirrenden Unibibliotheken beklagt? Doch nur ganz selten. Wenn man erst seit vorgestern ein Faxgerät und seit gestern so ein Internet besitzt, braucht man sich seine Ratlosigkeit deshalb noch nicht so mädchenhaft anmerken zu lassen. Klagt also nicht undankbar über Suchergebnisse sonder Zahl, denn das ist peinlich und es verdrießt mich. Suchet, so werdet ihr finden, wenn ihr euch dabei nicht anstellt wie alternde Kulturkritiker - und trödelt nicht damit, für den Fall, dass das Internet doch noch zerfällt. Halleluja!
KATHRIN PASSIG
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strübel & passig 2002